Vom
Mausoleum zum Gemeinbesitz
Über Entwicklungen und Trends bei den Museen im Zeichen der Vollrechtsfähigkeit und die Frage nach möglichen Kriterien für eine gute Museumspraxis. Eine kritische Analyse von Tom Waibel
Soeben erschienen im Dossier "Museen in Österreich" der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Furche
„Österreich
ist reif fürs Museum“, verkündete der ORF-Generaldirektor
Alexander Wrabetz anlässlich der diesjährigen Langen Nacht der
Museen. Was als eingängige Frohbotschaft über einen erneuten
Rekordbesuch gedacht war, klingt beim näheren Hinhören zumindest
zweideutig: Kann Österreich nun musealisiert werden, oder haben sich
dessen Bewohner und Bewohnerinnen endlich fürs Museum qualifiziert?
Die österreichischen Bundesmuseen wurden vor genau einem Dutzend
Jahren als „wissenschaftliche Anstalten öffentlichen Rechts“ in
die Vollrechtsfähigkeit entlassen, Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Die
hier unternommene Skizze bleibt auf eine Handvoll ausgewählter
Kunstmuseen der Bundeshauptstadt beschränkt. Die gebotene Kürze
verbietet zwar eine umfassende Analyse der durchaus weitläufigen
österreichischen Museumslandschaft, doch der Blick auf die
Navigationsmanöver einiger weithin sichtbarer Museumstanker trägt
zum Verständnis vorherrschender Tendenzen bei. Es geht also zunächst
um die Arbeit einiger exemplarischer Kunstmuseen und danach um die
Frage nach möglichen Kriterien für eine gute Museumspraxis. Gleich
zu Beginn muss festgehalten werden, dass die erfolgte rechtliche
Umwandlung der Bundesmuseen kaum dazu beigetragen hat, die
ökonomische Macht dieser Anstalten zu verbessern. Vielmehr hat sich
der beständige Konkurrenzkampf der musealen Großunternehmungen
untereinander verschärft. Es wäre zu vermuten, dass die zunehmende
Konkurrenz zu einer größeren Diversifizierung des kulturellen
Angebots geführt habe, doch überraschenderweise ist genau das
Gegenteil der Fall. Die Mission-Statements zahlreicher Kunstmuseen
sowie ihre Ausstellungs-, Leih- und Sammelpraktiken steuern bereits
seit einigen Jahren einen erstaunlichen Kollisionskurs: Die großen
Kulturtanker drängen zunehmend in den Bereich der Kunst der
Gegenwart. Verblüffend dabei ist insbesondere, mit welcher
Rücksichtslosigkeit auf die vom Gesetzgeber jeweils vorgesehene
Rolle diese Route eingehalten wird. Die bauliche und inhaltliche
Umgestaltung der ehemaligen Graphischen
Sammlung Albertina
in die heutige Albertina
unter der Leitung Klaus Albrecht Schröders setzte den Trend zu
dieser allgemeinen Dynamik. Die Reduktion der Österreichischen
Galerie Belvedere auf
das derzeitige Belvedere,
die
unter der Leitung von Agnes
Husslein Arco erfolgte, gehorcht demselben Paradigma. Auch hier wurde
der erfolgte Perspektivenwechsel hin zur Kunst der Gegenwart von der
aktuellen Kulturpolitik nicht einfach toleriert, sondern explizit
honoriert. Der Rückbau der barocken Kernkompetenz der
Österreichischen
Galerie wurde
mit der Leitung des neu etablierten 21er
Hauses belohnt.
In Häusern, deren Kompetenzen bereits vor dieser Neuorientierung im
Feld der zeitgenössischen Kunst verortet waren, kommt es angesichts
der zunehmenden Dichte in ihren angestammten Bereichen bisweilen zu
Panikreaktionen. Das Leopold
Museum lieferte
einen solchen Kurzschluss, als angesichts der
aktuellen Ausstellung Nackte
Männer wenig
überzeugend argumentiert wurde, es wäre keineswegs um eine
Konkurrenz zum Linzer Lentos
Museum und
dessen Schau Der
nackte Mann
gegangen, sondern um die Umsetzung eines jahrelang schubladisierten
Plans. Das Museum
für Moderne Kunst unter
der Leitung von Karola Kraus bediente sich indes bei ihrem Neustart
mit dem Museum
der Wünsche einer
fast fünf Jahrzehnte alten Idee, die erstmals 1963 im Moderna
Museet in
Stockholm artikuliert und zuletzt 2001 im Kölner Museum
Ludwig
ausprobiert wurde.
Doch möglicherweise sollte diese vereinheitlichende Tendenz nicht
allzu sehr verwundern. Monika Mokre, Vorsitzende der österreichischen
Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische
Studien konstatiert in den Texten
zur Zukunft der Kulturpolitik:
„Dass die Wiener Museumsdirektoren einander mit sehr ähnlichen und
häufig zeitgleichen Ausstellungen Konkurrenz machen, die außerdem
meist von einer europäischen Stadt in die nächste reisen, könnte
hier einen gewissen Wettbewerbsnachteil darstellen – vielleicht
aber auch nicht; bekanntlich freuen sich viele KunstkonsumentInnen
darüber, immer wieder das gleiche zu sehen.“
Wo
aber die Vermarktung zeitgenössischer Kunst so unmöglich erscheint
wie im Kunsthistorischen
Museum werden
andere dominante Trends sichtbar.
So schwärmt etwa die deutsche Unternehmensberaterin Mechtild Julius
vom Sponsoringkonzept des Hauses am Ring: „Das Kunsthistorische
Museum Wien vermietet sein wunderschönes Kaffeehaus in der
Kuppelhalle für firmeninterne Veranstaltungen an Unternehmen. Die
Gäste verbringen den ganzen Abend an 'ihren' Tischen. Im Verlaufe
des Abends können sie frei nach Gusto immer wieder in die exklusiv
für sie geöffneten Ausstellungen hinein- und hinausgehen.“
Exklusivität und gesteigerte Wirtschaftlichkeit sind die
vorherrschenden Maximen in der gegenwärtigen Administration von
Kunstmuseen. Geschichte und Funktion dieser öffentlichen Anstalten
drohen bei soviel Geschäftigkeit völlig in Vergessenheit zu
geraten. Kunstmuseen sind die Kinder von Aufklärung und Revolution,
in ihnen werden nicht einfach die Zeugnisse herausragender
künstlerischer Fertigkeiten zusammengetragen. Hier steht mehr auf
dem Spiel als eine Leistungsschau menschlicher Kunstfertigkeit:
Museen sind soziale Institutionen zur Herstellung von Gemeinbesitz.
Museen sind ein moderner Ausdruck von gemeinsamen und geteilten
Gütern und zwar in zweierlei Hinsicht: Die Güter des Museums werden
nicht nur von allen gesammelt und (durch Steuern) finanziert, sondern
diese Sammlung und Finanzierung soll auch das Gut des Gemeinsamen,
das Gemeinschaftliche herstellen und darstellen. Der Internationale
Museumsrat (ICOM) definiert Museen so: „Ein Museum ist eine nicht
gewinnorientierte, permanente Institution im Dienste der Gesellschaft
und ihrer Entwicklung; es ist der Öffentlichkeit zugänglich, die
das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und ihrer
Lebenswelt erlangt, erhält, erforscht, kommuniziert und ausstellt
zum Zweck der Erziehung, des Studiums und des Genusses.“ Der
bestehende Konkurrenzkampf einzelner Kulturunternehmen untereinander
betreibt dagegen den Untergang der gesellschaftspolitischen
Vorstellung von Museen zugunsten einer betriebswirtschaftlichen. Der
Museologe Gottfried Fliedl konstatiert dazu in seinem streitbaren
blog: „Das verkennt den Öffentlichkeitscharakter und die
Bildungsidee des Museums im Kontext eines wohlfahrtsstaatlichen
Gesellschaftsbegriffs fundamental. Der Staat muss sich dann nicht
mehr als Garant der Vermittlung von Bildung und Wissen verstehen,
sondern allein noch als Wächter und Regulator betrieblicher
Rationalität und Sparsamkeit.“
Die
Frage danach, wie reif Österreich fürs Museum ist, kreist demnach
um den Kern einer bestimmten Idee von bürgerlicher und
demokratischer Öffentlichkeit. Dabei geht es allgemein um die
Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten und im Besonderen um die
Teilhabe an gemeinschaftlichen Gütern. Deshalb sind die Fragen nach
dem Zustand der Museen zugleich immer auch Fragen nach dem Zustand
der Demokratie.